Provenienzforschung am Stadtmuseum Memmingen

Das Stadtmuseum Memmingen besitzt eine bunt gemischte Mehrspartensammlung (large scale collection), die sich aus unterschiedlichen Konvoluten zusammensetzt. Sie weist einen starken Bezug zur Region Allgäu und zur Stadt Memmingen auf. Es wurde und wird nicht nur bildende Kunst gesammelt, sondern auch Objekte der Vor- und Frühgeschichte, Kunsthandwerk, Puppenstuben oder Alltagsgegenstände. Die Vermittlung des jüdischen Lebens der Stadt Memmingen – mit einem Schwerpunkt auf die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus – gehören ebenfalls zum umfangreichen Programm des Stadtmuseums: beispielsweise durch Ausstellungen im Museum und Präsentationen im öffentlichen Raum, aber auch partizipative Veranstaltungen und Projekte mit der Memminger Gesellschaft sowie umfassende Begleitprogramme zur Stadtgeschichte und Erinnerungskultur.

Von April bis Dezember 2022 erfolgte ein NS-Erstcheck (Erstüberprüfung) durch eine Provenienzforscherin der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern. Dabei konnten bereits erste Verdachtsfälle von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut identifiziert werden. Seit März 2024 werden bis 2027 in einem vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekt Objekte einer Provenienzprüfung unterzogen, die zwischen 1933 und 1945, vor allem aber im Zuge der „Aktion gegen die Juden“ in den Bestand des Stadtmuseums Memmingen kamen.

Die Grundlage für die Forschung bilden die Quellenüberlieferungen im Hausarchiv des Stadtmuseums und im Stadtarchiv Memmingen. Ein Schlüsseldokument aus dem Jahr 1938/1939 wurde von zwei damit beauftragten Personen in Memmingen angefertigt. Es handelt sich um eine systematische Verzeichnung der jüdischen Bevölkerung von Memmingen und Fellheim mit Namen und Adressen: „Beschlagnahme von Gegenständen bei Juden im Stadtgebiet Memmingen, historischen und künstlerischen Wertes.“ Einige dieser Objekte fanden Eingang in die Sammlung des Stadtmuseums Memmingen, für die Verwertung mancher Objekte wurde auch der regionale Kunsthandel hinzugezogen.

Als Mehrspartenmuseum sind auch die Erwerbsumstände und Objektbiographien uneinheitlich. Ein überliefertes historisches Inventarkarteisystem mit handschriftlichen Anmerkungen kann zum Teil konkrete Hinweise zum Erwerb und Herkunft einzelner Objekte geben – auch auf den Erwerbszeitraum 1933 bis 1945 und auf jüdische Vorbesitzende aus Memmingen und der Nachbargemeinde Fellheim.

Ziel des Forschungsprojekts ist die systematische Bestandsprüfung von rund 250 Objekten, die zwischen 1933 und 1945 in die Sammlung kamen sowie Judaica mit konkretem Verdacht von NS-Raubgut. Des Weiteren werden diverse Judaica unbekannter Herkunft beforscht. Diese sind teilweise in der Abteilung „Jüdisches Leben in Memmingen“ ausgestellt, teilweise sind sie erst in jüngster Vergangenheit von der Bevölkerung ans Museum übergeben worden. Dabei stehen die Aufarbeitung der kulturpolitischen und personellen Netzwerke des systematischen lokalen Kulturgutraubs im Allgäu sowie die Identifikation und Restitution von ehemals jüdischem Eigentum, dass sich im Stadtmuseum befindet aber auch in anderen öffentlichen Einrichtungen und im Kunsthandel aufzufinden sein wird, im Fokus.

Auch gemeinsam mit der Memminger und Allgäuer Gesellschaft möchten wir vom Stadtmuseum Geschichten und Herkunftskontexte von Alltags- und Gebrauchsgegenständen aus privaten Haushalten diskutieren und gemeinsam Aufklärung zur Sammlungsgeschichte betreiben. Die laufenden Forschungserkenntnisse werden unter anderem in Veröffentlichungen, Führungen, partizipativen Veranstaltungen und via Social Media präsentiert und zur Diskussion gestellt.